Der Riese Polyphemos
3 / 6

Auf diese Rede erwiderte das Ungeheuer nichts mehr, sondern streckte nur seine Riesenhände aus und packte mit ihnen zwei meiner lieben Gefährten. Er schlug sie wie junge Hunde zu Boden, dass Blut und Hirn umherspritzten, zerhackte sie Glied für Glied und fraß sie zum Abendbrot. Wir aber streckten die Hände zu Zeus empor und jammerten laut über solchen Frevel. Nachdem sich der Unhold seinen Wanst gefüllt und den Durst mit Milch gelöscht hatte, warf er sich der Länge nach auf den Boden der Höhle und schlief ein. Ich überlegte, ob ich ihm nicht das Schwert zwischen Zwerchfell und Leber in den Leib stoßen sollte, aber ich besann mich eines Besseren. Denn was hätte uns sein Tod genützt? Wir hätten den unermesslich schweren Stein niemals vom Eingang der Höhle hinwegschaffen können und in der Finsternis eines elenden Todes sterben müssen. So ließen wir unseren Kerkermeister schnarchen und erwarteten in dumpfer Bangigkeit den Morgen. Als es dämmerte, stand der Kyklop auf, entfachte Feuer und molk seine Tiere. Dann ergriff er wiederum zwei aus meiner treuen Schar, verspeiste sie zum Frühstück und trieb hierauf seine feiste Herde aus der Höhle, nachdem er zuerst den Fels zur Seite geschoben hatte. Als alle Schafe und Ziegen im Freien waren, wälzte er den Stein wieder vor das Loch, wie man den Deckel auf einen Köcher setzt. Wir hörten die gellenden Pfiffe, mit denen er seine Herde ins Gebirge trieb, und fragten uns voll Todesangst, an wen nun die Reihe kommen mochte, von dem Scheusal gefressen zu werden. Ich heckte allerlei Listen aus, wie man dem Einaug beikommen und die getöteten Freunde rächen könnte; ich entwarf manchen Plan und verwarf ihn wieder, bis mir endlich ein brauchbarer Gedanke aufblitzte. Ich hatte im Stall eine mächtige Keule aus grünem Olivenholz entdeckt, die hatte sich der Kyklop abgehauen und wollte sie tragen, wenn sie getrocknet war; sie war so lang und so dick wie der Mast eines großen Schiffes. Aus dieser Keule hieb ich mir einen Pfahl heraus, nicht stärker, als ihn ein Männerarm umspannen kann, den mussten mir die Freunde glattschaben. Dann spitzte ich das eine Ende zu, glühte es im Feuer hart und verbarg diese Waffe unter dem Mist, der in der Höhle haufenweise umherlag. Am Abend kam der grässliche Hirt mit seiner Herde zurück, und diesmal - ich weiß nicht, tat er es aus irgendeinem Argwohn oder fügte es ein Gott zu unseren Gunsten so, ihr werdet gleich hören! -, diesmal ließ er die Böcke nicht im Gehege über Nacht, sondern trieb alle Tiere in die Höhle herein. Er fügte den Stein wieder in die Öffnung, molk seine Eimer voll Milch und fraß zwei meiner liebsten Genossen. Ich aber hatte inzwischen eine hölzerne Kanne mit dunklem Wein aus meinem Schlauche gefüllt, ging auf das Ungeheuer zu und sprach: "Da trink, Kyklop! Auf Menschenfleisch schmeckt der Wein vorzüglich. Solch köstliches Getränk führten wir auf unserem Schiff, und wir gedachten, mit dieser Spende dein Erbarmen und deine Hilfe zu belohnen. Du aber gehst böse mit uns um!"

« zurück weiter »