Iason gewinnt das Widderfell
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Nun ist dir Medeia verfallen." So verließ die Unglückliche das Haus, so floh sie bei Nacht und Nebel aus der süßen Heimat fort, wie wenn eine Gefangene dem bitteren Kerker entflieht oder eine Sklavin dem allzu grausamen Herrn. Sie eilte hinab zum Schiff der Argonauten und rief schon von ferne: "Es ist alles verraten! Rettet mich und euch vor meinem Vater!" Sie weckte Iason aus süßem Schlummer und sprach zu ihm: "Fremdling, lass uns fliehen, bevor Aietes mit den Seinen die schnellen Rosse besteigt und hieher an den Fluss kommt. Das Goldene Vlies will ich euch schaffen, den Drachen schläfere ich ein - doch du, Iason, schwöre mir zuerst bei den Göttern deines und meines Volkes hier vor den Genossen, dass du die Verwaiste in der Fremde nicht beschimpfen wirst." So sprach sie atemlos und erfreute damit Iasons liebendes Herz. Er hob die Kniende sanft vom Boden auf, umfasste sie und sagte mit fester Stimme: "Geliebte! Zeus und Hera, die Beschirmerin der Ehe, sie seien meine Zeugen, dass ich, wenn mir die Götter glückliche Heimkehr gewähren, dich als meine rechtmäßige Gattin in mein Haus führen will. Du sollst in Iolkos, in meiner Väter Land, geehrt sein wie kein anderes Weib neben dir!" So schwur er und legte seine Hand in die Medeias. Die zauberkundige Priesterin hieß die Helden noch in derselben. Nacht das Schiff nach dem heiligen Hain rudern, sie wollte gemeinsam mit Iason das Vlies entführen. Indes die Gefährten das Fahrzeug in eine abgelegene Bucht brachten, schritt die Jungfrau an Jasons Seite über einen Wiesenpfad dem Haine zu. Sie fanden den hohen Eichbaum, an welchem das Widderfell hing; es strahlte durch die Nacht, die belaubten Zweige der Eiche und die benachbarten Wipfel wunderbar erleuchtend. Dem Baume gegenüber jedoch reckte der schlaflose Drache mit den scharfen, fernblickenden Augen seinen langen Hals den Herannahenden entgegen. Er zischte so fürchterlich, dass der große Hain mit den uralten Bäumen und das Ufer des Flusses davon widerhallten. Wie sich die Flammen über einen brennenden Wald hinwälzen, so rollte das Untier seinen leuchtenden Schuppenkamm in unzähligen Krümmungen. Die Jungfrau aber ging ihm keck entgegen und rief mit süßer Stimme Hypnos an, den ewigen Gott des Schlafes: "Der du mächtiger bist als alle anderen Götter, du Sohn der Nacht und Zwillingsbruder des Todes, lulle mir das Untier ein!" Sodann flehte sie zu Hekate und rief: "Die du mit Persephone, der Königin der Unterwelt, den Thron teilst, segne mein Tun in dieser Stunde!"

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