Aeneas wird nach Karthago verschlagen und begegnet seiner Mutter
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So scheltend verscheuchte er die Winde. Die geschwellten Wogen glätteten sich, die geballten Wolken lösten sich auf, und die Sonne schien wieder vom heiter-blauen Himmel und erwärmte die Luft. Des Neptunus dienende Meergottheiten - bärtige Tritonen, die auf ihren Muschelhörnern blasen, und Nereiden, die auf dem Rücken der Muschelbläser über die blaue Flut reiten - mussten die zwischen den Klippen verklemmten Schiffe auf Befehl ihres Herrn wieder flott machen; er selbst schob seinen Dreizack unter die auf den Sandbänken festsitzenden Fahrzeuge und beförderte sie mit diesem Hebel ins tiefere Wasser zurück. Dann glitt er auf seinem Wagen, den Seerosse zogen, leicht über den Schaum der Fluten dahin, und wohin er kam und einen Blick über das Wasser warf, schwieg das Getöse des Meeres. So schweigt bei einem Volksaufruhr der Pöbel, der noch eben mit brennenden Fackeln und drohend erhobenen Steinen trotzig umhertobte, wenn ein Mann von Tugend und Verdienst die Rednertribüne besteigt: da horchen sie alle, und die erregten Gemüter beruhigen sich. Die ermatteten Seefahrer sahen eine Küste vor sich liegen und steuerten mit ihren letzten Kräften auf sie zu. Auf der einen Seite winkten ihnen sonnenbeschienene Wälder von sanften Hügeln entgegen, auf der anderen Seite starrte ein schwarzschattendes Gehölz von steilem Fels herab, und im Hintergrunde der Bucht öffnete sich eine Grotte mit Quellen und Moosbänken. Dorthin fuhr Aeneas mit seinen sieben Schiffen, dem Überrest seiner Flotte. Die Troer stiegen aus und ließen sich todmüde am Ufer niederfallen; ihre Gewänder troffen vor Nässe. Der Held Achates aber, gleich Aeneas stets besorgt um das Wohl der anderen, schlug Funken aus einem Kiesel, fing sie in trockenem Laube auf, nährte das zuckende Feuer mit dürrem Reisig und f achte es durch kräftiges Schwingen zur lodernden Flamme an. Dann befahl er das Bäckergerät auszuladen, das vom Wasser halbverdorbene Getreide aus den Schiffen zu heben und das gerettete Korn zwischen den Mühlsteinen zu zermalmen; denn es galt Brot zur Stillung des ärgsten Hungers zu schaffen. Sodann nahm Achates zwei Bogen und zwei wohlgefüllte Köcher über die Schultern und erklomm gemeinsam mit Aeneas einen Felsen; sie wollten nach den Gefährten Ausschau halten, nach Antheus, nach Kapys, der die Fahrzeuge der Phrygier lenkte, nach Kaikos, dessen Flagge sie über den Wellen zu sehen hofften. Doch so weit sie auch mit geschirmten Augen über die glatte Wasserfläche spähten, kein weiteres Schiff begegnete ihren Blicken. Dafür sahen sie am Strande drei Hirsche, denen ein ganzes Rudel folgte; bis tief in ein grünes Tal hinein ästen die Nachzügler. Schnell ließ sich Aeneas Bogen und Pfeile reichen und streckte den Anführer der Herde nieder, einen Hirsch mit hochästigem Geweih, und er ruhte nicht eher, als bis er sieben Tiere erlegt hatte, für jede Schiffsmannschaft eines. Dann kehrte er zur Bucht zurück. Die Beute wurde eingeholt und unter die Freunde verteilt.

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