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Wie Helena geraubt ward

ls Priamos noch ein Knabe war, wurde seine Schwester Hesione von Herakles, der den gewaltigen König Laomedon, den Götterfeind, überwältigt und getötet hatte, als Siegesbeute nach Griechenland verschleppt. Der Halbgott schenkte sie seinem Freunde Telamon, dem König von Salamis, dessen Gemahlin Hesione werden musste. Priamos hatte diesen Raub niemals verschmerzt. Eines Tages, als er im Kreise seiner fünfzig Söhne Rat hielt, sprang er, von jähem Sehnsuchtsschmerz überwältigt, auf und rief laut nach der fernen, verlorenen Schwester. Da erhob sich Paris und sprach: "Lieber Vater, gib mir Schiffe und ein Heer, so will ich deine Schwester befreien und in die Heimat zurückbringen. Aphrodite, die mir auf dem Ida bei den Tannen und Steineichen erschien, möge mich geleiten!" "Vertraue ihm weder Kiele noch Männer an!" rief sogleich Helenos, ein Seher unter den Brüdern. "Wenn Paris ein Weib aus Griechenland mitbringt, bedeutet dies Troias Ende! Feuer verzehrt die Stadt, Dardanos' Stamm wird ausgerottet werden! Vater, ich warne dich!" Priamos aber hörte nicht auf den Ruf des Sehers. Er ließ Stämme fällen und Schiffe daraus bauen, er rüstete die Flotte auf das beste aus und stellte sie unter den Befehl seines Sohnes Paris. Die Fahrt sollte zunächst nach der Insel Kythera gehen und von dort nach Sparta, der Hauptstadt der Peloponnes. Auf hoher See begegnete die Flotte dem Schiffe des spartanischen Königs Menelaos, der nach Pylos segelte, den weisen Fürsten Nestor zu besuchen, der schon drei Menschenalter heraufziehen gesehen hatte. Wohl bestaunte Menelaos den prächtigen Schiffszug aus Asien, und auch die Troer betrachteten neugierig das griechische Fahrzeug, aber beide Teile kannten einander nicht. "Wer mag das sein, und wohin mag er fahren?" so fragten die Männer hüben und drüben, indes sie auf den Wellen grußlos aneinander vorbeiflogen. Und weder Menelaos noch Paris ahnten, in welch blutigem Krieg sie alsbald einander gegenüberstehen würden... Paris und seine Schar langten auf Kythera an. Dort wollte der Jüngling, ehe er seine Reise nach dem nahen Sparta fortsetzte, seiner Schutzgöttin Aphrodite in deren Tempel ein Opfer darbringen, und er suchte das Heiligtum auch sogleich auf. Die Nachricht von der Landung des asiatischen Königssohnes und seiner schönen Flotte verbreitete sich jedoch mit Windeseile und drang auch in den Königspalast von Sparta, wo Königin Helena, von ihrem Gatten Menelaos alleingelassen, einsam-freudlose Tage verbrachte.

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