Hektor verabschiedet sich von Andromache und kämpft mit dem grossen Aias
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Aber mehr Kummer als der Tod des Vaters, der Mutter, meiner Brüder und Schwestern, die alle in den Staub sinken werden gleich mir, mehr Kummer bereitet mir dein Schmerz, den du fühlen wirst, wenn der Grieche mit eisernem Griff dich, die Weinende, hinwegschleppen und drüben in Argos nach fremden Geboten an den Webstuhl bannen wird. Und wenn du dann, einer Sklavin gleich, mit einem Kruge aus dem Hause des fremden Gebieters schreitest, das Herz voll Not und Groll, um Wasser am Brunnen zu holen, dann wird mancher, der dich weinen sieht, sagen: ‚Seht, das ist Hektors Weib, die Witwe des tapfersten Troerhelden!' Doch ehe ich das erlebe, ehe ich dich schreien höre und mit ansehe, wie man dich hinwegführt, möge der Hügel mein Gebein decken! Darum stelle ich mich dem Peliden, darum zieht es mich immer wieder hinab in das Mordgetümmel - dort ist mein Platz, nicht hier am Feigenbaum hinter der Mauer!" Hektor schwieg und neigte sich zu seinem Söhnlein hinab. Das Kind aber warf sich jäh seiner Wärterin an die Brust und schrie, so sehr hatte es der Anblick des Vaters, die funkelnden Augen und der wehende Helmbusch, erschreckt. Da lachte der Vater. Er löste den Knaben zärtlich aus den Armen der Amme, küsste ihn und flehte dann erhobenen Blicks zum Himmel: "Zeus, höre mich! Ihr Götter alle, hört mich! Möge dieses Kind dereinst seinen Vater überragen und gewaltig über Ilion herrschen. Möge es den Feind aus der Fremde erschlagen und das Auge der Mutter mit kostbarer Beute erfreuen!" Sanft legte er hierauf das Söhnlein in die Arme der Mutter, die lachend und weinend zugleich den Kleinen an sich drückte. Da wallte heißes Mitleid in Hektor auf, er streichelte Andromaches Scheitel und sagte: "Härme dich nicht, du Ärmste! Ob mich einer der Griechenhelden zum Hades hinabschicken wird oder nicht, das bestimmen allein die unerforschlichen Götter. Schicksal ist alles, und weder der Feige noch der Tapfere kann ihm entrinnen, sobald er einmal geboren ist. Darum gehe nun nach Hause, in Küche und Kammer harren die dienenden Mägde ihrer Herrin, und Webstuhl und Spindel sind bereit. Sorge dich nicht um mich, und wenn es mich treffen sollte, dann wisse: Hektor wird gleich jedem anderen Sterblichen im Totenreich aus dem Lethefluss trinken müssen und alles vergessen, was er dachte und litt - seine Liebe zu dir aber, Andromache, wird ihn auch unter den Schatten nie verlassen. Lebe wohl!" Mit diesen Worten riss er sich von Andromache los und kehrte in die Schlacht zurück, die in der Tiefe vor der Stadt neu auf zuflammen begann. Die Reihen der Troer hatten sich allmählich wieder geordnet, und von überallher eilten die Helden mit frischem Mut und neuen Waffen ins Getümmel. Auch Paris, Hektors Bruder, lief den Burgberg hinab. Knapp hinter dem Tore holte er den Feldherrn ein und rief: "Hektor, Liebster, lass mich gemeinsam mit dir hinabeilen, und verzeihe mir, dass ich so lange gesäumt! Bin ich noch würdig, mitzukämpfen?" "Du bist ein wunderlicher Mann, Paris", entgegnete Hektor. "Niemand wird deinen Schwertarm unterschätzen, du bist ein herrlicher Krieger - doch bisweilen lässt du dich allzu sehr gehen. Und wenn dann die Troer dich schmähen, kränkt es mich tief im Herzen, denn für wen plagen sie sich denn so ab? Für wen opfern sie sich in der männermordenden Schlacht? Doch nur für dich, damit du dein schönes Weib behalten kannst. Denke daran und komm! Möge Zeus uns gewähren, dass wir die schöngeschienten Achaier eines Tages doch von Ilions Küste vertreiben und in unseres Vaters Feste den Becher der Freiheit dankend hochheben dürfen!"

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